Glosse

Wert und Preis. Ein Thema für die Ewigkeit!

von Werner Augustin

„Preiswert“. Ein Begriff, den jeder kennt oder zu kennen glaubt. Aber, glauben Sie eines:
dahinter steckt mehr, als man vermutet.

Sprache kann ganz schön verwirren, obschon sie ja eigentlich eher dem Gegenteil dienen sollte, nämlich der Verständigung der sie gemeinsam nutzenden, nun ja, Geschöpfe.

Wussten Sie übrigens, dass die Wissenschaft inzwischen herausgefunden hat, dass auch Vögel (und nicht nur diese) so etwas wie „Sprache“ in ihre Wiegen, respektive Nester, gelegt bekommen haben? Glaubt man den gelehrten Vogelkundlern, kommunizieren Meisen gar in ganzen Sätzen, also mit einer eigenen Grammatik. Einschlägige Klagen über semantische Unregelmäßigkeiten sind dem Verfasser aus jenen Kreisen bis dato noch nicht zu Ohren gekommen, und falls ja, hat er diese mangels belastbarer Kenntnisse in Meisisch schlichtweg nicht verstanden.

Eine Meise hat er dennoch schon länger. Was nicht Wunder nimmt, wenn das eigene, in Jahrzehnten treu-doof zusammengekleckste Welt-Bild gefühlt zu jeder vollen Stunde aufs Neu aus dem Rahmen fällt und man es schließlich, des Rahmens müde geworden, zusammenrollt und in einer stabilen Papprolle unter dem Bett deponiert. Sollen doch dereinst die Erben das Ding nach großzügig veranlagtem Steuersatz an sich nehmen und fortan mit leeren Zügen betrachten.

Zurück zum Kern dieser Botschaft. Weltbilder wanken nicht erst seit letztem Jahr. Nein! Gewankt wird bereits seit Anbeginn der Menschheit, wie damals am biblischen Apfelbaum oder derzeit an der Bruchbude. Sie lesen schon richtig. An der Bruchbude. Der Verfasser dieser Zeilen beschäftigt sich nämlich ab und an mit der Bewertung von Immobilien, hat schon so manches erlebt, manches gelesen und auch das ein oder andere Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen geführt.

Der Heilige Gral in diesem schönen Metier nennt sich, wie Sie alle wissen, „Verkehrswert“.

Liebe Meisen, klärt es endlich auf, das Rätsel! Tapfer hinterfragt der Verfasser den Verkehrs- oder Marktwert. Seit vielen Jahren bereits. Nimmt man das Baugesetzbuch zur Hand, dazu ein paar Gerichtsurteile (bezeichnenderweise nur wenige) und zudem den gesunden Menschenverstand (einer Randgruppe vorbehalten?) lässt sich besagter Terminus etwa wie folgt skizzieren:

Da sei eine nicht zu kleine Gruppe von Anbietenden und Nachfragenden, selbige einigermaßen gut über das begehrte Objekt informiert, man sei nur „mäßig gierig“, also nicht versehen mit der Lizenz zum Raffen, Übers-Ohr-Hauen, Spekulieren, Beschummeln, Behumsen und so weiter. Nimmt man nun den mit hinreichender Sicherheit aus diesem ganzen Verhandlungs-Gewusel zu erwartenden, nennen wir ihn „Mittelpreis“, dann hat man eine „schöne Verkehrswertdefinition“. In Österreich spricht man in diesem Zusammenhang vom „Redlichen Geschäftsverkehr“, was den Nagel auf den Kopf trifft.

Es war / einmal / ein Seminar. Der hochrangige Dozent (Vertreter einer ehrfurchtgebietenden Institution mit viel Grundeigentum) dozierte über die Bewertung „seiner“ Latifundien und klärte den trotzig das Thema „Verkehrswert – was zum Henker ist das?“ aufgreifenden Störling (also den Verfasser) sinngemäß wie folgt auf:

Unter Verkehrswert verstehe der Vortragende, was derjenige -im Gerangel letztverbliebene- „Marktteilnehmer“ biete, um den höchstmöglichen Preis für die Liegenschaft an die ehrfurchtgebietende Organisation abzudrücken. Den allerhöchsten! Während sich des Dozenten
Züge zu einer Maske triumphaler Entschlossenheit formten, stierte der Verfasser leer an die
Decke, biss auf seinen Kuli und packte sein karges Weltbild in besagte Papprolle.

Denkblase: Da haste zwanzig Jahre lang alles falsch gemacht, Bub! Geh denn hin und bereu all deine Gutachten!

Etwa ein Jahr nach besagtem Seminar galt es, „viele schöne kleine Häuslein“ auf schönen kleinen Grundstücken (teilweise ohne Zufahrt, Hanglagen, fallweise nur über langgezogene Treppen zu erreichen, kein Witz, (Omas Fitnessprogramm?) für Zwecke einer groß angelegten Verkaufsaktion „wertmäßig einzufangen“. Einhundert Jahre zuvor waren die kleinen Buden tatsächlich mal neu gewesen. Heute wohnt da ein Herr Ensembleschutz drin; da is‘ also nix mit abreißen und neu bauen!

Die Wertermittlung erfolgte auf dem Boden der Lehre, das heißt, durchaus des Marktes Wahnsinns   eingedenk. Gesagt, getan. Die Kaufofferten prasselten nur so herein. Müller, Huber, Schulze, Schmidt / männlich, weiblich, dritt / alle machten mit. Wo haben die Leute nur das ganze Geld her, fragte sich der Verfasser. Das Unternehmen fragte nicht, sondern hieß den Mammon herzlich willkommen.

Hätte der Schreiber dieser Zeilen für 200 m² windschiefen Grund, ohne Zufahrt, 60 qm hülzern knackende Wohnfläche auf zweieinhalb Stockwerken, selbige von nackten Grundmauern umbröselt, Dächer lala, gewesenes Klo auf halber Treppe, einen beliebigen (also hohen) sechsstelligen Betrag ins Exposé geklatscht, wäre dies der -nachraffenden- Wirklichkeit sehr nahe gekommen. Der Verfasser hatte sich derweil „redlich bemüht“ und seinen kargen Job gemacht. Also bewertet, nicht bepreist. Auf dem Boden von Rechtsprechung und ImmoWertV. Und gut daran getan.

„Wert und Preis.“ Ein Thema für die Ewigkeit!

Mag sein, dass der Vergleich mit dem Jahr 1637 ein wenig hinkt, aber er sei, sozusagen als finale Schote in diesen Artikel eingestreut. Damals trug es sich zu, dass der betuchte Niederländer für eine gesuchte Tulpenzwiebel durchaus mehr zahlte als für ein Eigenheim. Zeiten waren das!

Lassen wir Herrn Doktor Wikipedia das vorletzte Wort haben:

„Bei ihnen (den infizierten Tulpen; Verf.) trat dabei ein ganz besonderes Virus auf, das als Tulip Breaking, Breeding Virus oder auch Tulip Mosaic Virus bekannt ist. Anders als man vielleicht vermutet, schädigt dieses Virus die Tulpen zunächst nicht, sondern bringt außergewöhnliche Blütenmuster bei den Tulpen hervor. Durch das Virus entstehen daher wunderschöne Blütenfarben und Muster, die unter Sammlern natürlich hoch begehrt waren.“

Wir sehen schon. Es trieb und treibt seltsame Blüten. Und zu bereuen (mea maxima tulipa?) gibt es schon gar nichts.

Warren Buffet habe an dieser Stelle das letzte Wort:

„Der Preis ist das, was du bezahlst.“
„Und der Wert ist das, was du bekommst.“

Also, jedem das Seine. In diesem Sinne.