Glosse

Frag den Abendwind was denn Zinsen sind

von Werner Augustin

Zinsen?

Ganz einfach, sie sind „das Entgelt, welches für die zeitweise Überlassung von Kapital oder Sachen erhoben wird“. So zitiert nach irgendeiner schlauen VWL-BWL-Quelle. Auch der knappe Satz aus der Webseite www.kleingeldhelden.com, abgerufen am 5.6.2021, ist ein wertvoller: „Wer der Erfinder der Zinsen ist, wissen wir nicht.“  Naja Leute, für Kleingeld hätte sich diese Erfindung auch sicher nicht gelohnt! Spaß beiseite. Ist das alles wirklich so simpel?

Wenn jemand was gegen Entgelt verleiht (liebe Vermieter, Ihr seid ausnahmsweise mal nicht gemeint!), dann signalisiert er damit einen gewissen temporären Trennungsschmerz von seinem geliebten Vermögen. Als Vorbild für diese Pein könnte das Eichhörnchen herhalten, welches die Nuss, sobald ihrer habhaft, wie vom Turbo getrieben, in den Bau verbringt. Nur die Nuss im Hier und Jetzt sei eine gute, denn das Dort und Dann ist … Schall und Rauch. Also, liebe Eichhörnchen, jetzt bitte nicht traurig mit euren Knopfaugen zwinkern, ihr seid sicher nicht die Erfinder des Zinses. Weil ihr nur scheffelt und euch von nichts trennt. Die Erfinderehre kommt wohl eher einem antiken Menschen von weit her zu, zu Lebzeiten gewiss nicht der Ärmsten einer, da er es sich ja leisten konnte, etwas abzugeben ohne gleich die Hufe zu heben wie das arme Schaf in der Nachbar-Jurte. Allerdings trennte er sich nicht als barmherziger Samariter von seinem Gut, sondern vielmehr mit monetären Hintergedanken. So nimmt es nicht Wunder, dass wir in seiner Denkblase Aussagen finden wie: „Der ist bestimmt ein schräger Vogel / die Zeiten werden garantiert nicht besser“ und ähnlich trübe Synapsenblitze. Und eines sei gewiss: je schräger der Vogel und erschröcklicher die Zukunft, desto höher wird das Schmerzensgeld ausfallen, also der Zins. „Risikoprämie“, so lautet gemeinhin das Stichwort.

Geht es Ihnen auch so? Ein Lichtlein flackert? Genau; vorbei sei die Zeit des Jammerns und Gnauntschens, lasset uns Polkas auf den Tischen tanzen! Der Zins ist endlich negativ! In solch eine Zeit passt nur eine freudenpralle Denkblase. Ein Gewölk frei von schrägen Vögeln. Nur Schuldner reinsten Herzens schweben in schierer Güte umher. Und die Zukunft erst! Anfangs startet sie bloß „gut“, aber dann gibt sie Gas, wird besser und besser, bis sich schließlich das Tor zum Paradies öffnet. „Hurra“, ruft unser geblendetes Eichhörnchen, die Nuss mit manischem Juchzen aus dem Bau schleudernd. „Labet euch, Mitgeschöpfe! Schlecht war gestern, gut ist heute, saugut ist morgen! Das einzig Negative ist der Zins!“ *)

Selbstredend tritt des Eichhörnchens Weib auf den Plan, das dem Gatten -welcher gerade Nuss Nummer zwei zum Abwurf vorbereitet- tierisch eins auf die Nuss gibt. „Ich glaub, du spinnst, schmeißt einfach unsere Herbstnuss zum Fenster (= Baumloch) raus!“ Sie reicht die Scheidung ein, krallt sich trutzig die Winternuss und entschwebt mit keck ins Himmelsblau gereckter Nase.  Keine guten Zeiten für unseren Neu-Junggesellen! Seine Zukunft wär‘ nun reif für ne satte Risikoprämie…

Halten wir kurz ein. Wenn negative Zinsen nicht für eine besser werdende Zukunft stehen, dann waren positive Zinsen im Umkehrschluss doch auch noch nie die Prämie für dräuendes Ungemach, oder? Oder? Hegel, Kant, eilt rasch herbei! Klar, immer nicht da, wenn man sie braucht. Egal.

Was sind also Zinsen? Der Verfasser gibt an dieser Stelle zu, kein‘ Peil mehr zu haben. Aber genau diese Sprachlosigkeit ebnet fühlbar den Weg in den redaktionellen Feierabend.

„Viersteiner Gutes Zinstal, Kabinett“, 2020. Zwölf Prozent. Ein Minus kennt der Wein nicht. Gut so. Zum Wohl.

*) hm. Die Redaktion