Glosse

Urlaub vom Leben?

von Werner Augustin

Urlaub vom Leben? (Der EUGH urteilt astral)

In seiner viel beachteten und wenig verstandenen Entscheidung vom 6.11.2018 wischte der Europäische Gerichtshof wieder einmal deutsches Arbeitsrecht vom Tisch. Die Witwe eines verstorbenen Arbeitsnehmers hatte sich mit der Bitte an dessen Arbeitsgeber gewandt,
ihr doch den aufgelaufenen Urlaubsanspruch des Gatten in klingende Münze zu verwandeln.
Das Bundesarbeitsgericht stellte sich sinngemäß auf die Seite derer, die Toten grundsätzlich keine Rechte mehr zubilligen. Indes der EUGH in seiner dünn gehaltenen Urteilsbegründung Gegenteiliges vermeldete. Möge die Klägerin den Urlaub ausbezahlt bekommen!

An dieser Stelle verlassen wir den Pfad des Irdischen und schwingen uns auf in astrale Sphären.

Vielleicht ist unsere höchstrichterlich-inländische Sichtweise schlichtweg zu krude, zu teutonisch, getreu dem Motto „Tote brauchen keinen Urlaub, basta“. Das sind doch wieder typisch wir! Mit dem Kopf durch die Wand! Jedoch – nimmt diese Nüchternheit nicht Wunder, vor dem Hintergrund unserer Geschichte? In weiten Teilen Europas wurden glanzvolle Matineen gefeiert, Ballnächte rauschten, die Sänfte trug einen von Oper zu Oper und des Abends besprach man bei Harfenspiel und edlem Roten die Alten Meister. Während es hierzulande ein wenig anders zuging. Unsere auf Baumkronen hockenden Altvorderen bewarfen sich mit nicht vorhandenen Kokosnüssen und stritten ob der Farben ihrer Gartenzwergzipfelmützen. Die Gartenmauer war der Horizont. Weil man dahinter von der Erden-Scheibe zu fallen drohte. Um die sich die Sonne dreht.

Ganz sicher schwingen in der EUGH-Entscheidung die –uns selbstredend verborgenen- schöngeistigen Einflüsse der griechischen, persischen und fernöstlichen Philosophie mit. Urlaub, das ist eben mehr als schnödes Nichtstun, Ur-Laub, das ist, im wahren Sinne des Wortes, ein früher Spross, ein zartes Pflänzchen, etwas zutiefst Lebendiges. Gleichsam eine den Heimgegangenen mild umflorende Aura. Nicht nur schnöde Mitgift oder Grabbeigabe, wie die Klunker neben den Gebeinen einer ägyptischen Prinzessin. Urlaub, das ist Transzendenz, das ist sphärische Lebensleistung, feinstofflich geronnene Schaffenskraft. Ein Licht ohne Schatten, sich nichts scherend um des Arbeitnehmers Aufenthalt. Ob Jenseits oder Malediven, es ist einerlei.

Ach ja, die Witwe. Wenn sie nicht gestorben ist, dann freut sie sich noch heut´.
Und wenn doch? Dann hat sie eben Urlaub.