Glosse

Das Buddelsozialprodukt und die geheimen Fachkräfte

von Werner Augustin

Ist es eine Alterserscheinung, wenn man sich noch an Zeiten erinnern kann, in denen die Eisenbahn nicht nur ankam, sondern auch weiterfuhr? Pünktlich? Oder als man nach langer Autobahnfahrt mit einem „Hunderter-Schnitt“ prahlen konnte?

Gut. Ein Hunderter-Schnitt auf Autobahnen ist selbstredend auch heute noch möglich. Halt in zwei Stunden. Höchstgeschwindigkeit? Brauchen wir nicht, denn wir haben ja das Grundrecht auf freie Stauwahl.

Gerne wird derzeit ein Fachkräftemangel beklagt. Seltsam. Die Fachkräfte sind doch da! Allerdings versteckt. Hinter großen Tafeln: „Wir bauen für Sie – bis November 2054“. Strategisch über das Land verteilt.

Verschwörungsnahe Geister ahnen warum. Die da haben alle fünfhundert Meter einen -meist unsichtbaren- Bautrupp ausgesetzt. Verstreut über Autobahnen, Landstraßen, Städte und Dörfer. Der teuflische Plan bestehe darin, den Verkehr abzuschaffen. Wegen der Klimaersparnis. Schon raffiniert, wie die da uneinnehmbare Bollwerke aus Kies und Sand auftürmen. Rohre und Röhren dienen der Ablenkung. Sollen uns Erneuerung und Fortschritt vorgaukeln. Montags liegen die blauen über den grünen, freitags die grünen unter den blauen. Kunstvoll drapiert, stecken rot-weiße Barrieren in ehemaligen Straßen und Wegen. Eine rostige Behelfsampel blinkt uns windschief entgegen. Gütig schaukelt ein gelber Kran vor sich hin. Vier orangefarbene Arbeiter blicken scherzend auf ihren Kollegen. Welcher, auf seine Schaufel gestützt, mit leeren Zügen fünf mannshohen Schotterhaufen beim Nicht-kleiner-Werden zusieht.

Die Umleitung ist ausgeschildert. Pfiffelbach nach links (schwarze Striche, mit rotem Klebeband durchgestrichen) und Dettelstädt nach rechts (rote Striche, mit schwarzem Klebeband drüber). „Über Hollerbach“. Ja – wie? Da gibt’s doch seit zwei Jahren keine Hauptstraße mehr! Dafür aber einen wunderbaren Ausblick auf das unterirdische Leitungsnetz. Hinter dem Kaugummiautomaten beginnt der Ausfallweg zum Wertstoffhof. Dahinter ist Vollsperrung. Bemalte Eisenstangen mit irgendwelchen Zahlen drauf wiegen sich im Wind. Zwischen zwei Bauzäunen ruht ein Caterpillar. Menschen? Fehlanzeige. Sollte das mit dem Fachkräftemangel am Ende wahr sein?

Ein Bekannter des Verfassers wagte jüngst das Ungeheure. Sprach reichlich angefressen bei einer Baubehörde vor. Aber natürlich bei der falschen. Nein, hier sei nicht die Kommune zuständig. Beziehungsweise nur ein bisschen. Nein, auch nicht so richtig das Land. Entweder die EU oder der Bund. Beziehungsweise die ÖPP, Öffentlich Private Partnerschaft „Hinteres Wichteltal“. Oder alle zusammen. Aber so genau wisse man das im Augenblick nicht. Der zuständige Wissensträger hocke nämlich mit leerem Akku im Heimbüro. Bis ans Ende seiner Tage.

„Wissen Sie, wie sich da Bruttosozialprodukt verdoppeln ließe?“, fragte der Bekannte den Herrn Baudirektor. „Indem man die Löcher nicht nur aufreißt, sondern auch wieder zuschippt!“
„Ach, guter Mann“, gab der Baudirektor mit brüchigem Altherren-Alt zurück, „es hat doch
niemand die Absicht, eine Infrastruktur zu errichten!“