Glosse

Der Traum vom Klimapfad

von Werner Augustin

Von einem Baumwipfelpfad zu träumen, soll ja schon mal vorkommen. Man blickt aus luftiger Höhe in eine regelmäßig schöne und weite Landschaft und seufzt „ach, ist das schön“. Dann klingelt der Wecker und man seufzt „das ist jetzt nicht schön“.

Der Verfasser hatte neulich ein wenig schwer gegessen. In seinem Traum breiteten sich, Adlerschwingen gleich, riesige Bandtachos mit Energieeffizienzklassen aus, ein Kaleidoskop aus Farben, von stoisch ruhendem Dunkelgrün über keckes Gelb bis hin ins tief Tomatige. Nein, zu Ihrer Beruhigung, geraucht hatte der Verfasser nichts. Er labte sich nur am Klang der Farben. Plötzlich stand er vor einem Einfamilienhaus. Das Dach aus schwarzer Pappe, die Wetterseite mit struppigen Schindeln bedeckt, der Schornstein puffte graue Wölkchen und um die Fenster reihten sich lustige Punkte und Schlieren in Schwarz und Blaugrün. „Ich bin G“, schniefte das Haus. „Das ist ja schrecklich“, rief der Verfasser tonlos, „dann bist du ja ein altes, unsaniertes Gebäude mit enormem Wärmeverlust!“
„So ist es“, weinte das Haus, dicke Tränen in den Fugen.

Der (träumende) Verfasser fand sich plötzlich in einem Büro wieder, umgeben von Büchern, Fachzeitschriften und reichlich künstlicher Intelligenz. Er begann zu schreiben. Über das arme alte Haus im Allgemeinen, dessen Maße im Besonderen und was man denn alles tun könnte. Zu guter Letzt bat er seine künstliche Intelligenz höflich, doch aus allen ihr bekannten Daten eine Bandbreite aller Durchschnitte zu bilden, wurde gefragt, was das für ein Unsinn sei, formulierte die Frage anders und erhielt zur Antwort:

„Eine allgemeingültige Lösung für dein Problem kann und wird es nicht geben. Ich kann dir aber modellhaft aus frei zugänglichen Quellen abgeleitete Durchschnittskosten für einzelne, eine energetische Sanierung betreffende Gewerke für ein Gebäude von Zuschnitt und Größe des von dir beschriebenen, aufzeigen. Dach mit Dämmung außen/innen T-Euro vierzig

Fassade Dämmung T-Euro fünfzig, Heizung/Wärmepumpe T-Euro fünfunddreißig, Fenster T-Euro zehn, zusammen T-Euro einhundertfünfunddreißig.
Bei der von dir genannten Wohnfläche sind das rund eintausend Euro je Quadratmeter. Selbstverständlich sind Abweieieieiei…“
(selbst im Schlaf hängt zuweilen das Internet).

Im Traum geht’s immer schnipp-schnapp. Und so saß der Verfasser plötzlich in einem riesigen Sitzungszimmer. Baugenossenschaft Bad Eulen eG. Erwartungsvoll fixierten ihn unzählige Augenpaare. Eine Hupe tönte. Ein Kleinkind weinte. Der Vorstandsvorsitzende dröhnte mit sonorem Bass: „Wir haben 500 Wohnungen, davon sind zehn in der B, dreihundertsiebzig in der D und einhundertzwanzig in der F/G. Was erwartet uns?“

Zappelige Stimme aus dem Smartphone: „Eine allgemeingültige Lösung für dein Problem kann und wird es nie geben. Wende dich an Spezialisten und Spezialistinnen – aber – es gibt einen pragmatischen Ansatz Doppelpunkt. Von fünfhundert Wohnungen haben vierundzwanzig Prozent einen sehr hohen Sanierungsbedarf. Bei modellhaft hochgerechnet siebzig Quadratmetern Wohnfläche sind das einhundertundzwanzig mal siebzig istgleich achttausendvierhundert Quadratmeter. Bei einem Sanierungsaufwand von eintausend Euro
je Quadratmeter Wohnfläche ergibt dies einen Gesamtaufwand von acht Millionen vierhunderttausend Euro. Dies unter der Prämisse, dass Objekte der Energieklasse D keiner weiteren Sanierung unterzogen werden. Bei einer aus externen Marktdaten abgeleiteten Durchschnitts-Soll-Miete von Euro sechskommafünf und einem Mietenmultiplikator von sechskommaacht sowie fünfunddreißigtausend Quadratmetern Gesamtfläche ergibt sich ein Buchwert des gesamten Immobilienbestandes von sechskommafünf mal zwölf mal fünfunddreißigtausend istgleich zwei Millionen siebenhundertdreißigtausend Euro mal sechskommaacht istgleich achtzehn Millionen fünfhundertvierundsechzigtausend Euro =
T€ 18.564,0. Der auf die kommenden Jahre zu verteilende Sanierungsaufwand beträgt modellhaft T€ 8.400 geteilt durch T€ 18.564 istgleich fünfundvierzig Prozent des bilanzierten Immobilienvermögens.“    

„Dreisatz! Dreisatz!“, röchelte der Verfasser in den menschenleeren Raum. Der Wecker klingelte. Ach, wie schön…