Glosse
Ewige Erschließung
von Werner Augustin

Liebe Erschließung, herzlichen Glückwunsch zum 76. Geburtstag! Und nun her mit de‘ Flocken…
Stellen wir uns eine Großstadt in Westdeutschland vor. Wir schreiben das Jahr 2013, als den Anwohnern einer bestimmten Straße in dieser Großstadt (selbige wird aus Gründen der Pietät nicht namentlich genannt) saftige Gebührenbescheide ins Haus flattern. Für eine, so stand’s jedenfalls auf diesen geschrieben, Erschließungsmaßnahme.
Die auch einen Anfang hatte – im Jahre 1937. Eine Fahrbahndecke. Hinfort ruhte das Ganze ein wenig, bis man 1956 Straßenlaternen anbrachte. Kaum waren weitere zwanzig Jahre ins Land (bzw. in die Stadt) gegangen, gesellte sich ein Kanal hinzu. Schlappe 32 Rosenmontagszüge danach (einer war ausgefallen) hatte man jäh und unerwartet auch Gehwege und Grünstreifen vorm Fenster liegen.
Bauplanungsrecht ist eine trockene Angelegenheit. Schillernde Begrifflichkeiten wie etwa die „Homöopathische Erschließung“ kennt es nicht. Gemeint wäre damit eine Maßnahme, die selbst den feinnervigsten Zeitgenossen nicht weiter anficht, wohl aber dennoch Wirkung entfaltet. Weniger auf die Infrastruktur als vielmehr auf den Stadtsäckel! Unisono erscholl es aus dem Kreise der schnöd verbeschiedenen Anwohner: „Nach so vielen Jahrzehnten! Das kann doch nicht sein!“
Hoffnungsgeladen und mit Glauben an so etwas wie gesundes Rechtsempfinden zog man gegen den Bescheid vor den Kadi. Lassen wir den Newsletter nun, bedeckt mit einer Narrenkappe (der Newsletter, nicht wir!) ein wenig „virtuelle Welt“ spielen. Verpassen wir dem Richter bei der Urteilsverkündung die berühmte Rheinische Frohnatur:
„Ja, Leute, von wejen dat kann nit sein! Und wie dat sein kann! De Stadt muss abreschnen! Wat fertisch is, wird abjereschnet! Vertrauensschutz, Verjährung, Verwirkung? Ja Kinder, dat is hier abjeschafft! Her mit de‘ Flocken! Zahlen!“
Ermittelt hatte man den Betrag lupenrein lapidar. Reichsmark in Euro umgerechnet, Inflation drauf, fertig.
Nochmal im Schnelldurchlauf die Zeitachse: 1937, 1956, 1976, 2009, 2010, die Bescheide gibt’s dann noch einmal drei Jahre später. Zwar grätscht das Bundesverfassungsgericht in diesem Kontext voll rein und meint, dass „ein Bürger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen muss, ob und in welchem Umfang er erlangte Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss“ (Az.: 1 Bv R 247/08), aber wen juckt dat schon. Is‘ Kappes.
Die Redaktion wäre nicht „die Redaktion“, setzte sie nicht noch einen drauf. Streng satirisch, versteht sich. Eigentlich, Hohes Gericht, begann die Erschließung doch schon viel früher! Vielleicht bereits, so fernstraßenmäßig (Pferd!), mit Marc Aurel, Ottilius dem Ersten, Karl dem Großen, Pippin dem Kleinen oder Pipi Langstrumpf?
„Hm! Ham Se rescht! Dat stimmt!“
Der Gedanke wird dankbar aufgenommen und weitergesponnen. Kühnen Federstrichs verwandelt das (selbstredend fiktive!) Gericht sodann Sesterzen in Taler, Taler in Reichsfranken, Reichsfranken in Kronen, Kronen in Louisdor, Louisdor in Piaster, Piaster in Zaster, Zaster in Goldmark, Goldmark in Reichs-, Renten- und Tomatenmark, ein Häppchen Euro dazugeben, zehn Minuten ziehen lassen, Index druff und fertsch.
„Ja, Herr Krause, die zwei Milliönschen sind freilisch en Sümmschen, dat is schon klar. Aber Se können die Hütte doch verklingeln und für dat wat fehlt jibtet BaFöG! Einspruch abjelehnt, der Nächste bitte.“ Helau.